Mehr als zehn Jahre dauerte es, bis Robin Hardy wieder einen Film vollendete - nachdem er seinen Ausnahme-Mysterythriller The Wicker Man geschaffen hatte, der mittlerweile zu Recht als Kultklassiker angesehen wird und nach langen Jahren die Fortsetzung The Wicker Tree erhalten hat.
Die irische Filmproduktion The Fantasist scheint oberflächlich gesehen auf der Ende der 70er Jahre eingeleiteten "Slasher"-Welle mitzuschwimmen und wurde auch dementsprechend vermarktet. Aber wer einen dementsprechenden Streifen erwartet, wird vermutlich enttäuscht, oder jedoch positiv überrascht sein aufgrund der Andersheit dieses Films.
Im Zentrum des Films steht die junge Patricia (Moira Harris, später Moira Sinise), eine junge Frau aus dem ländlichen Irland, die beabsichtigt, den Hof ihres Onkels Lar (Mick Lally) zu übernehmen, davor jedoch noch ein Jahr als Lehrerin in Dublin Erfahrungen im urbanen Leben machen will.
Im Gegensatz zu typischen jungen Frauenfiguren des Slasher-Films ist Patricia weder als schüchtern und jungfräulich, noch als trieb- und drogengesteuert dargestellt. Sie ist offen für ein Feierabend-Bier mit Kollegen, lässt sich aber nicht gleich auf deren Bude schleifen. Eine eigentümliche Unterhaltung mit ihrer künftigen Wohn- und Bettgenossin enthüllt eine durchschnittliche sexuelle Biographie, aber auch Bedürfnisse, die über das Durchschnittliche hinausgehen. So sucht sie die brennende Leidenschaft im Mann, die ihrer eigenen gleichkommt.
Hier kommt die Verbindung zur zweiten, vorerst nicht enthüllten Hauptfigur des Films ins Spiel, des Killers, der ebenfalls aus das Konventionelle übersteigenden sexuellen Bedürfnissen heraus zu handeln scheint. Als Kunst- und vor allem Literaturbegeisterter formuliert er gegenüber seinen potentiellen Opfern am Telefon leidenschaftliche Liebesbekenntnisse in der Tradition der romantischen Poesie. Wenig später zeigt sich, dass er für die Inszenierung seiner Fantasien den Tod der Bewunderten in Kauf nimmt, ihn gemäß einem Gemälde des französischen Malers François Boucher gestaltet. Boucher malte die irischstämmige Kurtisane Marie-Louise O'Murphy, Mätresse des Königs Ludwig XV. von Frankreich, deren Bild dem Mörder anscheinend als Ideal irischer Schönheit erscheint. Ironischerweise bedeutet Boucher "Metzger", und Hardy montiert den ersten zu sehenden Mord mit dem Zerschneiden eines Bratens durch Patricias Onkel Lar.
Als Verdächtiger wird lange der im selben Haus wie Patricia wohnende Schriftsteller Danny (Timothy Bottoms) in Szene gesetzt, dem aber Patricia selbst anscheinend die Morde nicht zutraut, denn sie setzt sich weiterhin seiner Gegenwart aus, weist seine Avancen aber ebenso zurück wie die ihres Kollegen Robert Foxley (John Kavanagh), der sich durch vermeintlich originelle, aber auch recht peinliche Anmach-Tricks mitunter der Lächerlichkeit preisgibt. Nach einem weiteren, ähnlich inszenierten Mord sowie des Verlusts des Hofes ihres Onkels an ihren Cousin Hugh kommt Patricia dem Mörder unerwartet auf die Schliche. Aber dessen Strategie, eine Kombination aus der Überwältigung durch poetische Rhetorik und Angst, verfängt bei Patricia nicht so leicht wie bei den anderen Opfern. Die unscheinbare junge Lehrerin, die nach der verzehrenden Leidenschaft sucht, übernimmt die Rolle der Marie-Louise O'Murphy und ergreift die Führungsrolle in dem tödlichen Spiel, dessen Ausgang auf diese Weise höchst ungewiss wird.
Nachdem The Wicker Man auf einer schottischen Insel angesiedelt war, ist The Fantasist ist nicht nur in Irland gedreht worden, sondern auch ein dezidiert irischer Film, der den Stadt-Land-Gegensatz erkundet und durch authentische Impressionen aus Dublin sowie traditionelle irische Musik von Künstlern wie dem Bouzouki-Virtuosen Dónal Lunny eine originelle Charakteristik erhält.
Robin Hardy gelang hier erneut ein Film, der die Grenzen seines vermeintlichen Genres mühelos sprengt, in diesem Fall vor allem durch die glaubwürdige Charakterisierung seiner Hauptfigur, deren Entwicklung zu verfolgen einen Großteil der Spannung ausmacht. Typische "Slasher"-Impressionen zu Beginn führen auf eine falsche Fährte: Was hier kommt, hat viel mehr Substanz als der Großteil des so genannten Subgenres. Die US-DVD-Präsentation von Scorpion Releasing bietet überzeugende Bildqualität und eine sympathische Einführung durch Katarina Leigh Waters.
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